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Johanna, a school support worker, describes in her experience report some dif ficulties, with which she is conf ronted in her ever yday work, as well as obstacles and contradictions, which can arise in the course of the application for school support. In addition, she criticizes that in the absence of a generally binding concept of school support, each person must actually design it according to individual ideas and therefore of ten takes on many more tasks for the class communit y than intended. Finally, she opens up a perspec- tive on how, in her opinion, successf ul school support could look. Title To End the Bureaucratic Monster of School Assistance. Alternatives From The Perspective of a School Assistant Key words pedagogy, education, inclusion, disabilit y assistance, school assistance Mein Name ist Johanna , ich bin seit elf Jahren Schulbegleiterin und habe unzählige Male folgenden Dialog geführt: »Was machst du beruf lich?« »Ich bin Schulbegleiterin.« »Und was macht man da?« »Puh, ja also…« 1 Der Name der*s Autor*in wurde für die Publikation maskiert. Corresponding author: Johanna; aua-redaktion@riseup.net Open Access. © Johanna 2022, published by transcript Verlag This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 (BY ) license 2022 7 6 Jo h a nn a Und dann folgt je nach meiner Laune und Gesprächsbereitschaf t eine längere oder sehr kurze Erklärung meinerseits. Hinterher stelle ich mir gelegentlich selbst die Frage: Ja, was mache ich da eigent- lich? Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das auch manchmal nicht ganz genau, denn eine richtig klar definierte Vorstellung hat so gut wie niemand von diesem Beruf. Oder sa - gen wir, alle Beteiligten haben eine eigene Vorstellung davon und gestalten die Arbeit immer wieder neu und individuell. Ganz grob gesagt begleitet eine Schulbegleitper- son ein Kind in einer Schulklasse, das beispielsweise körperlich oder geistig oder emo- tional beeinträchtigt ist und aufgrund verschiedenster Umstände Unterstützung im Schulalltag benötigt, um am Unterricht teilnehmen zu können. Dementsprechend unterschiedlich sieht die Unterstützung dann aus. Es kann ein Kind mit Hörschädi- gung sein oder eines, das im Rollstuhl sitzt. Es kann eine Autismus-Spektrum-»Stö- rung« haben oder eine geistige Behinderung, eine Lernentwicklungsverzögerung oder ADHS oder ein Trauma oder, oder, oder eine der vielen Diagnosen, die die Eltern meistens nachweisen lassen müssen, um eine Schulbegleitung überhaupt beantragen zu können. Denn natürlich bekommt niemand einfach so eine eigene Begleitperson geschenkt. Zuerst kommt jemand von einem der zuständigen Ämter und begutachtet, ob das Kind wirklich »behindert genug« ist – ja, das ist tatsächlich ein Zitat einer Mitarbei- terin eines deutschen Sozialamts – und für wie viele Stunden pro Woche man bereit ist, Gelder für dessen Unterstützung zu bewilligen. Hier beginnen schon die ersten Probleme bei der ganzen Sache mit der Schulbegleitung, denn schon in diesem ersten Schritt hängt sehr viel von der individuellen Person ab, die diese Entscheidung trif f t und damit steht und fällt der gesamte weitere Prozess. Denn hat man eine sehr um- sichtige und engagierte Person erwischt, mit einer gewissen Menschenkenntnis und Einsicht in die Notwendigkeit der Hilfe, hat man Glück gehabt. Man kann es aber auch mit vollkommen realitätsfernen, unempathischen Menschen zu tun bekommen, die selbst bei vom Hals abwärts gelähmten Kindern noch diskutieren, ob denn da »jetzt wirklich den ganzen Schultag jemand dabei sein muss«. Haben die Eltern dann eine Bewilligung erhalten, kommt ein Verein oder eine Ein- richtung ins Spiel, die Schulbegleiter*innen zur Verfügung stellen und der Kampf um die Anzahl der Stunden geht los. Selten bewilligt das Amt eine Stundenzahl, die den gesamten Schultag abdeckt, manchmal sind es sogar nur 12 oder 15 oder 20 Stunden pro Woche. Denkt man dabei nicht nur an die Schüler*innen, sondern auch an die Schulbegleiter*innen, wird schnell klar, dass die bewilligte Stundenanzahl bei der momentanen Bezahlung weder zur Erfüllung der Aufgabe noch als Finanzierung ei- ner Lebensgrundlage ausreichend sind. Des Weiteren wird jedes halbe oder ganze Jahr erneut geprüf t, ob das Kind wirklich immer noch so viele Stunden braucht oder ob man nicht doch noch ein paar davon kürzen könnte. Daraus ergeben sich vielfälti- ge Probleme. Zum einen stehe ich als Schulbegleiterin bei jeder Fallprüfung vor dem Gewissenskonf likt, ob ich wirklich jede Verbesserung, jede Entwicklung, jeden Fort- schritt des Kindes angebe, aus Sorge, mir könnten weniger Stunden bewilligt werden. Zum anderen bedeutet ein gewisser Fortschritt des Kindes natürlich auch nicht auto- 2 So lautet die derzeitige of fizielle Bezeichnung. Durch die Anführungszeichen bei dem Wort »Stö- rung« an dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich mich von der defizitorientierten Auf fassung von Behinderungen distanziere. Die S chulbegleit ung mus s kein bür okr atis ches Mons ter bleiben 77 matisch, dass es fortan weniger Unterstützung bräuchte. Davon abgesehen gibt es tat- sächlich Kinder, die nicht permanent jemanden für sich benötigen, sondern wirklich nur in manchen Stunden oder Momenten. Insgesamt findet man sich also in einer Situation wieder, die für alle Beteiligten eine große Belastung darstellt und aus meiner Sicht sehr leicht vermieden werden könnte, indem es eine grundlegende, aber ohne viel Mehraufwand zu erreichende Än- derung im ganzen System der Schulbegleitung gäbe. Es ist von vornherein eine un- günstige Voraussetzung, dass die Schulbegleitperson theoretisch an das eine zu be- gleitende Kind gebunden ist. e Th oretisch deshalb, weil es normalerweise unter keinen Umständen möglich ist, wirklich nur mit einem einzigen Kind zu arbeiten, wenn man als erwachsene Person in einer Schulklasse anwesend ist. Vor allem dann nicht, wenn das eigentlich erklärte Ziel die Integration oder gar Inklusion des Kindes in die Klas- se sein soll. Meine Arbeit kann und muss mit allen Kindern der Klasse stattfinden, je - doch in unterschiedlicher Gewichtung und Herangehensweise. Gerade zu dem Zeitpunkt, wenn ein neues Kind, nennen wir es Luca, in eine be- reits bestehende Klasse kommt und eine Schulbegleiterin »mitbringt«, findet schon direkt zu Beginn eine Form von Stigmatisierung und Ausgrenzung statt. Für die an- deren Kinder signalisiert es entweder »Das neue Kind da bekommt eine ganz eige- ne Hilfe und mir hilf t schließlich auch niemand und das finde ich doof, also finde ich das Kind auch doof« oder »Wenn Luca da so ›ne Betreuerin hat, stimmt bestimmt was nicht, also halte ich mich lieber fern.« Natürlich kann das in manchen Fällen an- ders verlaufen und es spielen auch noch weitere Faktoren eine Rolle, wie z.B. das Al- ter der Gruppe und die Schulform und wie üblich eine Schulbegleitung an der konkre- ten Schule bereits ist etc. Auch die Persönlichkeit der*s Schulbegleiter*in ist natürlich nicht ganz ohne Einf luss. Aber in vielen Situationen ist zumindest zu Beginn genau dieses Phänomen zu beobachten. Es findet also eine Ausgrenzung statt, obwohl Luca noch nicht mal richtig zur Tür reingekommen ist. Wie kann man das also umgehen? Ich bin davon überzeugt, dass eine dauerhaf t in die Klasse integrierte Schulbegleit- person eine sehr gute und sinnvolle Sache wäre. Eine begleitende Person, die zusätz- lich zur Lehrkraf t anwesend ist und alle Kinder unterstützen kann und vor allem darf und nicht nur diejenigen mit einem of fiziell festgelegten »Bedarf«. Denn auch der überholte Gedanke von Bedürf tigkeit widerspricht von vornherein einem inklusiven Konzept, da jedes Kind und auch jede Lehrkraf t von einer Schul- begleitung prot fi ieren kann. Letztlich haben fast alle irgendeinen Bedarf – die einen mehr, die anderen weniger. Für manche Kinder ist es auch einfach nur schön, dass sie sich jemandem anvertrauen können, sich mal kurz ausweinen oder etwas Lustiges er- zählen, eine Frage stellen können und so weiter. Eine Lehrperson kann diese Art von Unterstützung nicht immer zusätzlich leisten. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist genau dieser Umgang in der Realität oh- nehin der Fall. Sowohl ich als auch die meisten meiner Kolleg*innen arbeiten nach die- sem Prinzip und in vielen Fällen wird das von allen Beteiligten sehr geschätzt und er- wünscht. Selbstverständlich gibt es gelegentlich auch andere Erfahrungen, so fühlten sich manche Lehrpersonen beobachtet oder angegrif fen durch die bloße Anwesenheit einer Schulbegleitung oder waren generell nicht bereit, sich mit betreuungsintensive- ren Kindern auseinanderzusetzen. Dieser Menschenschlag von Lehrkräf ten verfährt gefühlt oder tatsächlich nach dem Prinzip: »Halten Sie mir das Kind vom Hals und sorgen Sie dafür, dass es meinen Unterricht nicht stört. Am besten gehen Sie raus und 78 Jo h a nn a nehmen das Kind mit.« Oder auch: »Wieso soll ich dem Kind eine Frage zum Unter- richt beantworten, dafür sind Sie doch da.« Natürlich sind wir dafür nicht da. Der Lehrauf trag ist und bleibt bei der Lehrperson, wir dagegen schaf fen im Idealfall eine Atmosphäre und Lernsituation, in der das Kind dem Unterricht folgen kann. Das kann wie bereits erwähnt vollkommen unterschiedlich aussehen, je nachdem was das Kind bzw. die Kinder benötigen. In keinem Fall sieht es jedoch so aus, dass ein Kind einfach nur r uhiggestellt wird, damit es nicht stör t. So oder so wäre es auch für die Kommunikati- on und Zusammenarbeit mit Lehrpersonen förderlich, wenn die Schulbegleitung von vornherein als zusätzliche Betreuungskraf t für alle Kinder eingesetzt werden würde, sodass der Gedanke von Beobachtung oder Kontrolle gar nicht erst auf kommt, son- dern direkt als Team agiert werden kann. In Jena begann vor ein paar Jahren sogar ein Modellprojekt, um genau diese Idee umzusetzen. Da die wesentlichen Punkte für die Vorteile eines solchen Konzeptes auf der Internetseite des Quer wege e. V. bereits ausformuliert sind, möchte ich sie an die- ser Stelle zitieren: Seit dem Schuljahr 2018/19 läuf t das Modellprojekt an der kommunalen Gemein - schaf tsschule Kulturanum und der staatlichen Gemeinschaf tsschule Wenigenjena in Jena. Mit dem Fachdienst Jugendhilfe wurde ein Budget für die Unterstützung und Be- gleitung von Schüler*innen im Sinne der Eingliederungshilfe und der Hilfen zur Teil- habe in Schule vereinbart. Es gibt weiterhin Einzelfallbescheide, die aber das gesamte Budget nicht zusätzlich erhöhen, jedoch eine Orientierung für den Einsatz der Schul- begleiter*innen vor Ort geben. In der Praxis bedeutet dies: • Schüler*innen mit individuellen Bedarfen bekommen weiterhin so viel Unterstüt- zung wie sie benötigen. • Bedarfe mehrere Schüler*innen in einer Klasse/Lerngruppe werden konsequenter zusammengefasst (Pooling von Hilfen) und • Bewilligte Stunden stehen über das Schuljahr hinweg zur Verfügung und können f lexibel und bedarfsorientiert eingesetzt werden • Wir arbeiten im Modellprojekt mit einer stärkeren Lerngruppenorientierung (Lern- gruppenassistenz). • Die Anwesenheit der Schulbegleiter*innen ist entkoppelt von der Anwesenheit der Schüler*innen mit Bescheid. Das heißt, die Fachkräf te sind auch in der Lerngrup- pe, wenn ein Schüler oder eine Schülerin abwesend ist. Das sorgt für Stabilität und Kontinuität in der Gruppe, was zur Folge hat, dass insgesamt weniger moderations- bedürf tige Situationen entstehen. Für Schüler*innen mit erhöhten Förder- und Un- terstützungsbedarfen bietet eine ruhigere Lernumgebung bessere Voraussetzung und verringert auch den individuellen Hilfebedarf. • Wir wechseln zwischen Einzelfall- und Gruppenbegleitung und unterstützen und fördern dabei auch Gruppenarbeit und peer-to-peer-Unterstützung. • Durch zusätzlich zur Verfügung stehende fallunabhängige Stunden gelingt eine vorübergehende Erhöhung des Betreuungsschlüssels in Lerngruppen in eskalati- ven Phasen, insbesondere zur Vermeidung von Selbst- und Fremdgefährdung. • Schüler*innen können präventiv zur Vermeidung manifesten Unterstützungsbe- darfes kurzfristig in Entwicklungsherausforderungen begleitet werden. Die S chulbegleit ung mus s kein bür okr atis ches Mons ter bleiben 79 • Schulbegleiter*innen bilden ein eigenes Team im Kollegium der Schule, welches durch das Budget für einen längeren Zeitraum personell stabil und kontinuierlich in der Schule zusammenarbeiten und so Expertise und Bindungsstabilität auf bau- en kann. Leider wurde das Projekt meines Wissens aufgrund der Pandemie eingestellt. Es las- sen sich durch Initiativen wie diese aber dennoch Bestrebungen erkennen, das Kon- zept der Schulbegleitung zu erneuern und umzugestalten und es dabei an die Bedürf- nisse der Schüler*innen anzupassen, anstatt es als ein unpraktisches bürokratisches Ungetüm zu belassen. 3 https://w w w.quer wege.de/schulbegleitung/de/modellprojekt/inhalt/ [Zuletzt aufgerufen am: 28.10.2021].
Außeruniversitäre Aktion. Wissenschaft und Gesellschaft im Gespräch – de Gruyter
Published: Apr 1, 2022
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