Access the full text.
Sign up today, get DeepDyve free for 14 days.
Dana Diezemann – German radio presenter, journalist, speaker on trans identit y and expert on image sensors and cameras – reports in her contribution Kritik heißt nicht nörgeln, sondern machen that she was born as a woman into a male body and only recognized and corrected this af ter half a lifetime. She describes where and by whom she is met with rejection on a daily basis, and emphasizes that the abilit y to criticize includes openness and a willingness to change, as well as self-criticism. Title Crit icism Does Not Mean Nagging, It Means Doing The Change! Key words gender studies, queer studies, empowerment, transidentit y, diversit y Corresponding author: Dana Diezemann; w w w.diezemann.info; Open Access. © Dana Diezemann 2022, published by transcript Verlag This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 (BY ) license 2022 84 Dana Diezemann © Sandra Wolf Dana Diezemann: Wir befinden uns in Schwäbisch Hall und haben Montag, den 16. August 2021 um 14:54 Uhr an einem schönen warmen Sommertag. Helen Akin und Dana Diezemann sitzen in einem Café und werden sich jetzt über das e Th ma Was ist Kr it ik? in aller Ausführlichkeit unterhalten. Helen Akin (AuA): Wunderbar, liebe Dana Diezemann, vielen Dank dafür, dass Du mir sogleich die Einleitung abgenommen hast, in der Du als Radiomoderatorin natür- lich sehr viel mehr Übung hast als ich. Großen Dank außerdem dafür, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Wir freuen uns sehr, Dich als Mitwirkende für un- sere erste Ausgabe gewonnen zu haben und würden Dich nun gerne zu Beginn darum bitten, Dich für diejenigen Leser*innen, die Dich vielleicht noch nicht kennen, einmal kurz selbst vorzustellen. 1 Dies ist die leicht gekürzte und redaktionell überarbeitete Fassung eines mündlich geführten Inter- views vom 16. August 2021. Dabei wurde lediglich in die Reihenfolge der Fragen und Antworten ein - gegrif fen, aber die Formulierungen von Frau Dana Diezemann so wortgetreu wie möglich wieder- gegeben. K r itik heiß t nicht nör geln, s onder n machen! 8 5 Dana: Wenn man 54 Jahre alt ist, ist es natürlich sehr schwer, das eigene Leben in we- nige Sätze zu packen, aber vielleicht ist es auch egal, was ich bislang alles gemacht habe und woher ich komme. Wichtig ist, wofür ich stehe und was mich antreibt: Ich bin in einem männlichen Körper geboren und mein Name Dana sagt bereits aus – zu- mindest in Europa – dass es sich um einen weiblichen Vornamen handelt und so soll- te dieser Name bzw. so sollte ich gelesen werden. Um es kurz zu machen: Ich bin eine Frau, die in einen männlichen Körper hineingeboren wurde und habe dies erst nach einem halben Leben erkannt, um dann die Schritte in die Wege zu leiten, um diese Si- tuation zu korrigieren. Heute bin ich an einem Punkt meines Lebens, an dem ich end- lich sagen kann, dass ich nun mit 54 Jahren mein Leben so lebe wie es mir zusteht und wie es sein sollte. Heute fühle ich mich ein wenig angekommen – auch wenn es sich da- bei um ein Wort handelt, das mit Vorsicht zu genießen ist. Ankommen heißt für mich nicht Stillstand, sondern Ruhe und Anerkennung meiner selbst. Helen: Aufgrund Deines Selbstverständnisses als transidente Frau gerätst Du all- täglich häufig in eine Gegenposition zu einer weitverbreiteten gesellschaf tlichen Normvorstellung von einer binären Geschlechterordnung, gemäß der das körperli- che Geschlecht (engl.: sex) mit der psychosozialen Geschlechtsidentität (engl.: gender) übereinstimmt. Du hingegen beschreibst, dass Du irgendwann immer deutlicher ein Auseinanderklaf fen dieser Dimensionen erlebt hast. Wie erfährst Du vor diesem Hin- tergrund die vorherrschende Ordnung? Dana: Eine sehr starke Dimension, die mich diese gesellschaf tlichen Normalvorstel- lungen alltäglich spüren lässt, sind natürlich die Blicke. Da gibt es sowohl bewundern- de als auch ablehnende. Es gibt im Moment etwa 2.500 bis 2.800 transidente Perso- nen pro Jahr in Deutschland, die wie ich den rechtlichen Weg der Vornamens- und Personenstandsänderung gehen. Damit sind wir eine starke Minderheit und anderen marginalisierten Gruppen – Migrant*innen oder Menschen mit Behinderung – inso- fern vergleichbar, als dass wir von den Normalitätsvorstellungen abweichen und auf- grund dessen zunächst einmal auf fallen. Man fragt sich – häufig völlig unbewusst – wie man mich einzuordnen hat, welche Kategorie man mir zuschreiben kann. Ich sit- ze beispielsweise in einem Café, sehe wie eine Person die andere antippt, ihr irgend- etwas zuf lüstert und sich anschließend beide zu mir umdrehen. Oder letzthin wur- de ich beim Einkaufen von der Verkäuferin falsch gegendert, obwohl sie mich als Frau schon längere Zeit kannte. Es war ihr sichtlich unangenehm, dass ihr ein »er« heraus- gerutscht war und sicherlich ohne Vorsatz. Wichtig ist mir, immer wieder zu betonen, dass das Geschlecht ein Konstrukt ist, das gesellschaf tlich hervorgebracht wird. Wir kreieren die Rosa/Hellblau-Unterschei- dung und diese Konstruktion fällt unterschiedlich aus je nach Kulturgegend und Mi- lieu. Dieses Konstrukt, dass es nur Männer und Frauen gibt, durchbreche ich. Das ist eine sehr große Herausforderung für mich, auf diese Weise permanent – sei es manch- mal auch nur indirekt – Kritik an gesellschaf tlich etablierten Schubladen zu üben. Zum Glück ist immerhin das Vorurteil, dass Frauen nur Männer und Männer nur Frauen lie- ben, in sehr weiten Teilen unserer Gesellschaf t bereits in Frage gestellt worden – wenn jedoch jemand aussieht wie ein Mann, aber sich kleidet wie eine Frau, ist das für viele Menschen noch immer eine Erscheinungsform, mit der sie nicht umgehen können. Vor allen Dingen Männern fällt es schwer, das in ihr Weltbild zu integrieren. 8 6 Dana Diezemann Helen: Wann hast Du an Dir selbst dieses Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum körper- lichen Geschlecht zum ersten Mal empfunden und wie lange hat es gedauert zu der Überzeugung zu gelangen, eigentlich einem anderen Geschlecht zuzugehören, d.h. eine Frau zu sein? Dana: Diese Frage wird mir natürlich sehr häufig gestellt: Wie hast Du zum ersten Mal bemerkt, dass Du anders bist? Wie hast Du gemerkt, dass Du eine Frau bist, obwohl Du nicht so aussieht und nicht so genannt wirst? Die Geschichten von trans Frauen, die ich kenne, ähneln sich in diesem Aspekt. Man gelangt als Kind nicht einfach zu dem Ge- danken, eigentlich eine Frau zu sein – dieser Gedanke taucht erst im Umgang mit an- deren und im Prozess der Reifung auf. Irgendwann muss man sich selbst zugestehen, dass es nicht nur ein Fetisch ist, dass einem Frauenkleidung gefällt oder man am Wo- chenende als Frau herumläuf t. Diese Selbsterkenntnis ist ein langer harter Weg, der viel mit Anerkennung des eigenen Selbst und Annahme zu tun hat. Erst dann kannst Du einen neuen Anfang starten und Dir einen Weg planen in Dein neues Leben, von dem Du von Beginn an weißt, dass er alles andere als einfach werden wird. Helen: Möchtest Du versuchen uns zu beschreiben, wie Du Dich gefühlt hast, nach- dem Du Dich selbst als Frau anerkannt hast, aber of fiziell noch immer die Rolle eines Mannes spieltest und als solcher wahrgenommen wurdest? Wie hast Du diese Zwi- schenzeit – die innerliche Entscheidung war schon gefällt, aber die äußerliche Reali- sierung noch nicht vollzogen – erlebt und überstanden? Quelle: Dana Diezemann K r itik heiß t nicht nör geln, s onder n machen! 87 Dana: Der Begrif f der inneren Zerrissenheit beschreibt es ganz gut. Es wird von Dir erwartet, dass Du eine männliche Rolle samt all ihrer Klischees erfüllst – logisch den- ken, Entscheidungen fällen etc. – doch Du kannst diese Rolle nicht einnehmen und Dich nicht so verhalten wie die anderen Männer der Gesellschaf t. Auch in meinen Be- ziehungen traten Schwierigkeiten auf, weil ich den als typisch männlich geltenden Part nicht leben konnte. Nachdem die Erkenntnis da ist und der Weg vor Dir liegt, be- ginnt ein großes Kopf kino. Du willst so schnell wie möglich eine Frau sein, darstellen und werden f ür die anderen – denn für Dich selbst bist Du ja bereits eine Frau und hast Dir das auch endlich zugestanden. Helen: Der Weg einer Geschlechtsangleichung ist in vielerlei Hinsicht steinig und langwierig. Einige der Hürden, die Du und andere transidente Personen zu meistern hatten bzw. haben, sind institutioneller Art: Es gibt rechtliche Aspekte (Vornamens- und Personenstandsänderung), die medizinische Behandlung (hormoneller und chi- rurgischer Art), die erforderlichen psychotherapeutischen Beurteilungen und nicht zuletzt auch potentielle Schwierigkeiten auf der Arbeit bzw. in finanzieller Hinsicht. Welche Momente würdest Du rückblickend – wenn das überhaupt möglich ist – viel- leicht als die kräf tezehrendsten bezeichnen? Quelle: Dana Diezemann Dana: Wie Du ganz richtig sagt: Man kämpf t mit der Krankenkasse, man kämpf t mit den Ärzt*innen, mit Institutionen und Behörden und hat einen großen zeitlichen und n fi anziellen Aufwand – bei mir waren es etwas mehr als 1500 Euro, bei anderen bis zu 3000 Euro – zu schultern. Es gibt kein anderes Verfahren in Deutschland, für das man zwei Gutachter*innen benötigt. Man denkt sich ständig: Wieso muss ich beweisen, dass ich eine Frau bin? Wieso muss ich beweisen, dass mein männlicher Körper nicht zu mir passt? Wer diesen Weg einschlägt, muss im Moment leider damit rechnen, dass sowohl der Job als auch die Beziehung in Gefahr geraten und er oder sie am Ende vielleicht sogar sich selbst verliert. Die Mehrheit der Menschen können sich in diesem Sinne wirklich glück- lich schätzen, dass sie im richtigen Körper geboren wurden, denn dieser Weg der Ge- 88 Dana Diezemann schlechtsangleichung ist eine riesige Herausforderung für alle Beteiligten. Er gestaltet sich natürlich bei jeder Person sehr unterschiedlich. In meinem Fall hat es etwa drei bis fünf Jahre gedauert, bis ich den Eindruck hatte, angekommen zu sein. Es ist also keines- falls so, dass man sich einen Rock anzieht und zur Arbeit geht oder seinen Namen ändert und damit alles erledigt wäre. Es handelt sich um einen langwierigen Prozess, in dem es mitunter auch darum geht, die neue Rolle zu erlernen und sich in ihr zurecht zu n fi den. Kleinere Herausforderungen bestehen zum Beispiel bereits hinsichtlich der Stiln fi dung: Als Mann hat es mich sehr wenig interessiert, welche Kleidung zu mir passt. Für den Rollenwechsel jedoch und auch dafür, künf tig als Frau gelesen zu werden, ist das äuße- re Erscheinungsbild ein wichtiger Faktor. Kleider sind für mich eine Weise der Rüstung – ich muss mich in ihnen sicher fühlen, weil ich ansonsten durch Blicke of t angegrif- fen werde und mich häug fi er behaupten muss, wenn ich mich nicht entsprechend kleide. In Hinsicht auf meine Beziehung war es so, dass meine Frau mich darum gebeten hat, ihr Zeit zu geben, um sich an meine Veränderungen zu gewöhnen. Ich habe also, um der Beziehung willen, ein wenig das Tempo aus der Entwicklung herausgenom- men und es mit meiner Frau abgestimmt. Helen: Die gerade schon angesprochenen Schwierigkeiten im Hinblick auf medizini- sche Betreuung und die rechtliche Lage bspw. bei der Änderung im Personenstands- register sollten am 19.05.2021 durch eine Abschaf fung des Transsexuellengesetzes (TSG) und die Einführung einer neuen Gesetzesvorlage verbessert werden, haben es aber trotz vieler Zusprüche von transsexuellen Personen nicht durch den Bundestag geschaf f t. Kannst Du darüber eine Auskunf t geben, inwiefern diese Veränderungen konkret das Leben von trans Personen erleichtert hätten? Dana: Es ist eigentlich eine Unverschämtheit, dass das Selbstbestimmungsgesetz wie- der einmal nicht durchgekommen ist. Meines Erachtens soll jeder Mensch das Leben führen, das er*sie leben möchte und, wenn die geschlechtliche Zuweisung bei der Ge- burt sich im Nachhinein als falsch herausstellt, sollte das korrigiert werden. Andere europäische Länder – Holland oder Belgien – sind in dieser Hinsicht weiter. Wir ha- ben hier in Deutschland momentan immer noch das seit den 80er Jahren gültige TSG – das ist in weiten Punkten bereits als verfassungswidrig ausgehebelt, aber bislang noch nicht vollständig abgeschaf f t worden. Dieses sollte durch das Selbstbestimmungsge- setz abgelöst werden. Wir brauchen dafür aber of fenbar momentan noch einen Wan- del in der konservativen Regierung. Helen: Kritik kann aus unserer Perspektive einen solchen Wandel befördern und hat immer etwas mit der Infragestellung von herrschenden Normvorstellungen und Selbstverständlichkeiten zu tun: Gewohnheiten geraten ins Wanken, Vorurteile wer- den abgebaut, Perspektiven geöf fnet und Blickwinkel verschoben. Es gibt Menschen, denen das Angst macht und die darauf mit starken Abwehrmechanismen oder Ag- gression reagieren. In welchen gesellschaf tlichen Bereichen – Umfeld, Arbeit, Freizeit – oder auch Orten und alltäglichen Situationen begegnen Dir verstärkt solche negati- ven und abwehrenden Haltungen? Dana: Ich kenne eine trans Frau, die Metallbaumeisterin ist. Ihr war ganz klar, dass ihr ein Comingout in ihrem Betrieb nicht möglich wäre: Allein beispielsweise, da es K r itik heiß t nicht nör geln, s onder n machen! 89 keine Umkleidemöglichkeiten für Frauen gab. Also hat sie für sich beschlossen, erst nach der Kündigung ihr Comingout zu starten. Diese Angst vor Jobverlust ist bei trans Personen allgemein sehr stark. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung kann ich nur raten, die Entwicklung langsam zu vollziehen, das Umfeld einzubeziehen, sie Stück für Stück einzuweihen, Fürsprecher*innen zu suchen. Man darf seine Mitmenschen nicht überfordern und muss ihnen erklären, dass man zu dem Menschen wird, der man schon immer werden sollte. Mein Glück ist ein wenig, dass ich Spezialistin für Kameras und Bildsensoren bin und in diesem Bereich Spezialist*innen gebraucht wer- den und sehr selten sind. Helen: Gibt es denn rechtliche Möglichkeiten dagegen vorzugehen, wenn es zum Ar- beitsplatzverlust kommt? Dana: Nein. Es werden dann betriebsinterne Gründe aufgeführt und andere Beweg- gründe lassen sich meist kaum nachweisen, obwohl sie unausgesprochen natürlich klar und spürbar sind. Helen: In unserem Vorgespräch zu diesem Interview sagtest Du, wer sich selbst ver- wirkliche, werde schnell für andere Menschen zu einer Projektionsf läche ihrer eigenen Defizite. Den Wind müsse man dann aushalten und daran stark werden. Überdurch - schnittlich häufig sind es Deiner Erfahrung nach Männer, von denen diese Diskrimi - nierung ausgeht. Kannst Du uns vielleicht beispielhaf t solche Situationen schildern? Quelle: Dana Diezemann Dana: Bei Männern tref fe ich tatsächlich sehr viel häufiger auf Ablehnung, vor allen Dingen bei jenen, die – so scheint es mir – Probleme mit sich selbst oder mit starken, 90 Dana Diezemann emanzipierten Frauen haben, mit ihrer Sexualität oder ihrer eigenen Selbstverwirk- lichung. Meist sind dies sehr konservative Männer. Mir scheint, dass diese Menschen, in dem Moment, da sie mich sehen, ihre eigene Situation – ihre insgeheimen Wün- sche vielleicht – ref lektieren. Es gelingt ihnen nicht mich anzuerkennen, da ich für die Selbstverwirklichung dieser Wünsche stehe. Wir befinden uns immer noch in einer Gesellschaf t, in der Frauen in vielen Hin - sichten schlechter gestellt sind. Ich beobachte an mir selbst, dass mir beispielsweise auf der Arbeit anders begegnet wurde, als ich noch als Mann dort erschien. Als Frau wurden mir mit einem Mal Wissen und Kompetenzen abgesprochen. Das sind Abwer- tungen, die schon in der Sozialisation ihren Anfang haben, wenn Jungs auf dem Spiel- platz bolzen und raufen, Piraten, Ritter oder Eroberer oder Soldaten spielen, während die Mädchen die hübschen Cheerleaderinnen sein sollen – das Beiwerk fürs Auge, das am besten nichts zu sagen hat. Meines Erachtens haben die Frauen sich in den letzten Jahrzehnten sehr emanzipiert – die Männer jedoch nicht. Helen: Was würdest Du sagen, bedeutet für Dich heute – auch in Hinsicht auf Deine Lebenspraxis als Frau – Weiblichkeit oder eine Frau zu sein? Dana: Ich denke, eine Frau zu sein, hat letztlich weder mit den Klamotten noch mit der Anähnelung an gesellschaf tlich vorherrschende Bilder zu tun, sondern ist viel- mehr eine Lebenseinstellung. Wir alle haben beide Anteile in uns, solche, die gemeinhin als männlich gelten und auch weibliche. In diesem Wissen führe ich auch die Beziehung mit meiner Frau: All- tägliche Aufgaben werden beispielsweise alle gemeinsam angegangen, ohne dass wir unterscheiden würden in männliche und weibliche. Die meisten Frauen sehen mich als Frau und sehen die Frau in mir, ich tref fe auf Komplimente und auf Zustimmung, ich inspiriere andere und werde von ihnen ins- piriert. Unter Frauen werde ich häufig mit großer Freude willkommen geheißen und mir das Gefühl der Zugehörigkeit ganz stark vermittelt. In solchen Momenten füh- le ich mich aufgehoben. Das ist ein ganz anderes Miteinander als mit Männern. Die e Th men werden viel sensibler besprochen, Emotionen mehr zugelassen, andere e Th - menfelder öf fnen sich. Mein Eindruck ist, dass Frauen sich mehr mit ihrem Körper auseinandersetzen, ein besseres Körpergefühl haben und die Möglichkeiten der Klei- derwahl eher ausschöpfen als Männer. Natürlich ist auch mir bewusst, dass man hier in der Schilderung der eigenen Erfahrungen potentiell wieder schnell in Klischees zu- rück verfällt. Was meinen persönlichen Zugang zur Rolle der Frau angeht, habe ich mir in mei- ner Anfangszeit wie oben schon angedeutet sehr viele Gedanken um mein Erschei- nungsbild gemacht: Nagellack, Schminke, sehr auf fällige, kurze und körperbetonte Kleidung, hohe Schuhe. Das Pendel ist zunächst einmal in eine starke Extremität der Weiblichkeit und auch in Klischeebilder – lange blonde Haare etwa – ausgeschlagen, da ich zum ersten Mal eine Freiheit auskosten konnte, die mir das ganze vorherige Le- ben verwehrt gewesen war. Heute jedoch gehe ich auf eine Bühne oder in die Öf fent- lichkeit, ohne mir deswegen ewig den Kopf zu zerbrechen oder morgens mal zum Bä- cker ungeschminkt, denn natürlich ist es nicht die Kleidung, die mich zur Frau macht. Es ist lediglich ein Moment eines Gesamtkunstwerkes. Und dennoch ist es für mich leichter als Frau anerkannt zu werden, wenn ich entsprechende Kleidung trage, und K r itik heiß t nicht nör geln, s onder n machen! 91 das bietet mir alltäglich eine große Erleichterung. Für trans Männer ist das natür- lich in unserem Kulturkreis ein wenig schwieriger, da sowohl Männer als auch Frauen heute – dank Marlene Dietrich – problemlos Hosen tragen können. Helen: Mit Deiner Botschaf t »Sei du selbst, lebe dein Leben!« bist Du öf fentlichkeits- wirksam auf der Bühne, in Interviews, im TV und in Printmedien wahrzunehmen. Authentizität, so machst Du deutlich, muss man sich erkämpfen, erstreiten und auch mit dem engsten Umfeld aushandeln. Was hat Dir auf diesem Weg Kraf t und Mut ge- geben? Wie hast Du Deinen Mut vielleicht auch wieder gefasst, wenn er Dir einmal ab- handengekommen ist? Dana: Die Kraf t kam eigentlich durch meine Öf fentlichkeitsarbeit. Ich habe gemerkt, dass ich nicht alleine bin und es Menschen gibt, die ein Interesse an meiner Geschich- te haben – das hat mir sehr geholfen. Sobald man beginnt darüber zu reden, ist das geteilte Leid ein halbes Leid – wie man so schön sagt. Das war für mich wie eine selbst entwickelte e Th rapie mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, die ebenfalls schwere Lebensgeschichten zu erzählen hatten und diesen eine Möglichkeit anzu- bieten, in die Öf fentlichkeit zu treten. Ich hatte auch den Eindruck, dass es für mich leichter war, einen Zugang zu den Personen zu finden, da man mir ansieht, dass auch ich etwas durchgemacht habe und man mir dementsprechendes Einfühlungsvermö- gen auch für andere Geschichten zutraut. Ich kann die Ängste, das Kopf kino sehr gut nachvollziehen, dass man auf dem Weg der Selbsterkenntnis hat. Es gibt auch viele Personen, die mich kontaktieren, weil sie nach Ratschlägen fragen oder sich mit mir austauschen wollen, und es freut mich – beispielsweise auch mit diesem Interview – andere Menschen zu inspirieren. Helen: Öf fentlichkeitsarbeit ist Dir sehr wicht ig. Kommerzielle Freiheit, darauf weist Du hin, ist f ür die Redef reiheit vonnöten. Du setzt Dich akt iv ein f ür Transrechte beispielswei - se in der Wir tschaf t und bietest mit Deiner Radiosendung Talk mit Dana marginalisier- ten Gruppen und Betrof fenen mit besonderen Schicksalen eine Plattform für ihre An- liegen. Abschließend möchten wir Dir gerne noch die Gelegenheit geben, aus Deiner Sicht zu formulieren, was es für Dich bedeutet, Kritik zu üben, wie Du dies tust und, warum dies so wichtig ist. Dana: Mein Eindruck ist, dass unsere Gesellschaf t in vielen Dingen noch sehr konser- vativ ist und mit Kritik und Veränderung schwer umgehen kann. Auch ich selbst ken- ne die Erfahrung, wenn man etwa auf der Arbeit eine Kritik, die eigentlich auf die Ar- beitsleistung zielt, persönlich nimmt. Da müssen wir besser dif ferenzieren. Wenn ich Kritik übe an dem Konstrukt der Geschlechterrollen, ziele ich darauf, dass wir gegen- über der Vielfalt möglicher Geschlechterpositionen of fener werden und auch Unein- deutigkeiten als solche anerkennen. Regenbogen und LGBTQIA*, Vielfalt und Diversit y sind hier die wichtigen Stichworte. Einfach mal häufiger die Sichtweise von anderen Personen annehmen, einen Blick in andere Welten werfen. Ich wünsche mir, dass wir unseren Horizont weiten, of fener werden, das Kleingeistertum hinter uns lassen. Außerdem sollten wir uns fragen, mit welchem Recht wir überhaupt etwas oder jemanden kritisieren. Haben wir das Recht dazu überhaupt? Im Ahrtal beispielswei- se ist kürzlich im Rahmen der Überschwemmungen die Sendeanlage eines Bekannten 92 Dana Diezemann aus Radiokreisen unter Wasser geraten – sie ist völlig kaputt. Darauf hin hat er in ei- ner Nacht-und-Nebel-Aktion einen UKW-Sender gegründet und sehr viele ehrenamt- liche Moderator*innen zusammengetrommelt, um ein Flut-Radio zu machen und auf diese Weise, die Menschen zusammenzubringen. Wahrscheinlich ist es noch nie je- mandem gelungen innerhalb von nur vier Wochen einen Radiosender in Deutschland auf die Beine zu stellen! Ab dem 4. September 2021 sendet er mit einer Sondergeneh- migung im Ahrtal, um Betrof fene und Helfer*innen zusammenzubringen. Die Perso- nen jedoch auf Facebook, die sich ständig beschweren und kritisieren, dass alle ande- ren Schuld seien – die machen häufig nichts, aber das Machen gehört zur Kritik dazu! Her umlaber n kann jeder – wir müssen aber nach vorne gehen und nach vorne sehen und auf hören mit dem ewigen Lamentieren. Und man muss andere um sich herum versammeln, um stärker zu werden. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir im- mer die Wahl haben. Zudem ist es mir wichtig, mich selbst und meinen Körper wertzuschätzen. Häufig fallen uns Listen an Dingen an, die uns an uns selbst nicht gefallen, dabei ist es doch wichtig herauszufinden, was uns an uns selbst gefällt. Wir sind häufig viel zu kritisch und nörgelig mit uns selbst und viel zu selten in uns ruhend und glücklich. Gelassen- heit ist dafür ein gutes Wort. Außerdem habe ich auf meinen Reisen verstanden, in welchen Wohlstands- und Luxusproblemen wir uns hier manchmal befinden. Wenn Du einmal gesehen hast, wie Menschen sich darum sorgen, ob sie den Tag über genug zu essen finden, kannst Du es kaum ertragen, was wir hier alles wegschmeißen. Wir diskutieren über Stroh- halme, die wir verbieten müssen, wenn Du aber einmal beispielsweise die Massen an täglichen Industrieabfällen gesehen hast, kommt Dir das lächerlich vor. Das ist eine Schief lage. Ich verstehe nicht, warum die Menschen nicht Elektroautos fahren und Digitalradio hören! Warum haben wir noch immer Kohlekraf twerke? Wieso haben wir noch immer Kernkraf twerke? Ich möchte für Veränderung einstehen und halte unsere Lebenseinstellung für zu materialistisch. Abschließend ist mir wichtig: Auch ich tue mich damit schwer, Kritik of fen zu äu- ßern. Aus diesem Grund gehe ich den Umweg der Auf klärung. Ich sage mir, dass die Angst der Mensch meistens mit ihrer Unwissenheit zu tun hat. Mit mehr Wissen ver- schwinden die Ängste und, wenn die Ängste verschwinden, kommt es auch nicht mehr zu Anfeindungen. Helen: Wir danken Dir, liebe Dana Diezemann. Vielen Dank für Deine Zeit, Dein En- gagement, Deinen Mut und Deine Of fenheit uns gegenüber. Wir wünschen Dir alles Liebe für Deine Zukunf t! Dana Diezemann ist eine deutsche Hörfunkmoderatorin, Journalistin, Referentin für Transidentität und Expertin für Bildsensoren und Kameras. Einen umfassenden Ein- blick in ihre Arbeiten, Projekte und Interviewbeiträge sowie Kontaktmöglichkeiten finden sich auf ihrer Website.
Außeruniversitäre Aktion. Wissenschaft und Gesellschaft im Gespräch – de Gruyter
Published: Apr 1, 2022
You can share this free article with as many people as you like with the url below! We hope you enjoy this feature!
Read and print from thousands of top scholarly journals.
Already have an account? Log in
Bookmark this article. You can see your Bookmarks on your DeepDyve Library.
To save an article, log in first, or sign up for a DeepDyve account if you don’t already have one.
Copy and paste the desired citation format or use the link below to download a file formatted for EndNote
Access the full text.
Sign up today, get DeepDyve free for 14 days.
All DeepDyve websites use cookies to improve your online experience. They were placed on your computer when you launched this website. You can change your cookie settings through your browser.